Eine National Historic Site in Bonavista
An vielen Orten, vor allem an vielen Häfen der Ostküste von Neufundland konnten wir erfahren, dass die Fischerei, insbesondere der Kabeljau-Fang, über Hunderte von Jahren die Basis-Existenz für viele Menschen in dieser Region bedeutete. Das Leben der Bewohner wurde von allen Vorgängen, die mit dem Fang, der Verarbeitung und der Vermarktung dieses Fisches zu tun hatten, bestimmt.
So war es für uns nicht verwunderlich, dass wir in Bonavista eine große historische, von Parks Canada betreute Stätte vorfanden, die sich mit dieser Thematik beschäftigt.
Es handelt sich um die „Ryan Premises“, wobei man „premises“ mit Gelände, aber auch mit Räumlichkeiten übersetzen kann. Die Gebäude von „Ryan Premises“ konnten wir bereits aus weiter Entfernung entdecken, denn es sind große, weiß angestrichene, ehemalige Lagerhäuser, die direkt neben dem Hafen von Bonavista stehen.
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Ryan Premises - hier als Model |
Das heutige Museum ist in zwei der ehemaligen Einzelhandelsgeschäfte der Großhändlerfamilie Ryan, sowie im ehemaligen Fisch- und Salzladen untergebracht.Außerdem kann man auf der gegenüberliegenden Straßenseite noch ein ehemaliges Wohnhaus der Familie Ryan besichtigen. Alle Gebäude wurden um 1900 errichtet.
Das Handelsunternehmen wurde um 1860 von James Ryan (1842-1917) gegründet.
Er startete anfangs mit seinem Vater mit einem Gasthaus und einem Laden für Fischereibedarf. Nach wenigen Jahren änderte man die Geschäftsidee und stieg in den internationalen Fischhandel ein. James Ryan kaufte sich kurze Zeit später eine eigene Fangflotte und erbaute eine Fabrik für die Fischverarbeitung. Bonavista blieb der Hauptsitz des Unternehmens, aber die Familie Ryan gründete mehrere Niederlassungen an der neufundländischen Küste und eröffnete zahlreiche Tochterunternehmen. Nach dem Tod von James Ryan führte sein Sohn das Unternehmen bis Mitte der 1970er Jahre weiter.
Wir begannen unseren Besuch im Visitor-Center mit einer multimedialen Einführung in die Geschichte der kanadischen Atlantik-Fischerei. Man stelle sich einmal vor, dass das Fischhandelsunternehmen Ryan bis 1890 jährlich etwa 5.000.000 kg Stockfisch (gesalzten Kabeljau) exportierte.
Danach ging es über eine steile Treppe in den ersten Stock (der Aufzug war leider außer Betrieb), der früher als Lagerfläche diente. Heute ist er wie ein historisches Einzelhandels-Geschäft ↗eingerichtet, mit allen Waren, die Menschen damals so benötigten. Gleichzeitig werden hier verschiedene Gewerbe und generell das Alltagsleben präsentiert. Informieren konnte man sich über den Besuch beim Dentisten oder wie der Postversand organisiert wurde, aber auch welche Musikinstrumente bei Feiern zum Einsatz kamen. Im nächsten ehemaligen Gebäude durften wir nun absolut in die Welt der Fischerei eintauchen. Es ging um die gesamte Fischverarbeitung in allen Einzelschritten. Es muss eine harte Arbeit gewesen sein. Viele Menschen waren nötig, um den gesamten Prozess zu erledigen.
Vom Fang, der Anlandung, der Spaltung des Fisches und dem Ausnehmen, über das Salzen und Waschen bis hin zum Transport auf die Trockengestelle wurden alle Arbeitsschritte umfangreich gezeigt und erläutert.
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Die gesalzenen Filetteile werden zum Trocknen ausgelegt |
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Der Kabeljau wird direkt nach dem Fang ausgenommen und filetiert |
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In diesen Schuppen wurden die Vorarbeiten erledigt, ehe die gesalzenen Filetteile auf die dahinter befindlichen Hochlager zum Trocknen ausgelegt wurden. |
Nach dem Trocknungsprozess wurde der Fisch in Fässern oder Kisten verpackt und in die gesamte Welt verschifft.Des Weiteren handelte die Ausstellung vom internationalen Handel, aber auch von internationalen Fischereirechten und von der Überfischung der Meere.
Auch konnte man Details aus "dem Leben des Kabeljaus" erfahren. Es wurde ausführlich auf seinen natürlichen Lebenszyklus eingegangen und ironisch aufgezeigt, dass er eigentlich ein "Allesfresser" im Wasser ist (Würmer, Weichtiere, Krebsen sowie Fische).
Die Fortpflanzungsreife tritt meist zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr ein, wobei er ein Gesamtalter von 20 Jahren erreichen kann.
Der schwarmbildende Grundfisch, der Kabeljau, der in Tiefen bis zu 200 m lebt, wird bis zu 2 Meter lang und kann dabei ein Gewicht von über 40 Kilogramm erlangen. Meist wird der Fisch aber in der Regel weit vor Erreichen seines Höchstalters gefangen.
Übrigens: der Fisch "Gadus morhua", wie seine lateinische Bezeichnung lautet, wird, wenn er in der Ostsee beheimatet ist „Dorsch“ genannt, während die Fische aus dem Nordatlantik als „Kabeljau“ bezeichnet werden. Er steht heute auf der Liste der gefährdeten Tiere!
Interessant fanden wir auch die Information, dass man früher selbst aus der Leber des Kabeljaus "Öl" gewonnen hat - den LEBERTRAN.
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Lebertran vom Kabeljau |
Der dritte Teil dieser Ausstellung beschäftigte sich mit dem Meer und seiner Ökologie. Strömungen, Ökosysteme, Klimaerwärmung, etc. und welche Auswirkungen diese auf den Kabeljau-Fang hatten und haben, wurden thematisiert.Angefüllt mit vielen Informationen durften wir im nächsten Raum die Ausstellung „Cod, Seals and Survivors“ (Kabeljau, Robben und Überlebende) besuchen. Erneut waren wir von zahlreichen multimedialen Präsentationen beeindruckt, die ihren Schwerpunkt in der Dokumentation des Robbenfangs hatten. In vielen Modellen wurde gezeigt, dass die indigene Bevölkerung den Robbenfang zum Lebensunterhalt betrieb, während offizielle Robbenfänger auf Profit aus waren -- und sind!
Fasziniert waren wir von einem Modell eines „Dory-Fischerbootes“. Das etwa 5 Meter lange Boot wurde nur von 2 Mann gerudert oder besegelt und im Kabeljau-Fischfang eingesetzt. Wir stellten uns vor, dass man schon einen gewissen Mut braucht, um mit einem solchen Mini-Boot auf dem Meer zum Fischen unterwegs zu sein. Es wurde aber auch noch auf andere Bootsarten eingegangen, die die Einheimischen zum Kabeljaufang nutzten. So z.B. die "Schaluppe", die eine Besatzung von 6-8 Mann hatte und üblicherweise zwischen 7,6 bis 12 Metern lang war.
Am Ende der Ausstellung konnten wir uns auch mit dem Ende der hiesigen Fischindustrie auseinandersetzen, wobei zahlreiche Gründe für den Niedergang angeführt wurden, beispielsweise Einfrieren statt Einsalzen, Hochseefischerei statt kleiner Küstenfischerei, neue Gesetzgebungen, usw..
Ein solcher "Titan der Meere" ist im folgenden Bild wiedergegeben, in dem alle Verarbeitungsprozesse bis hin zum Einfrieren der Fischteile an Bord des Schiffes ablaufen.
Zurück auf dem Außengelände machten wir noch einen kleinen Abstecher zum ehemaligen Salzlager, in dem abwechselnd verschiedene Kunstausstellungen gezeigt werden. Zurzeit konnte man einen metergroßen Hummer bewundern, der aus Knöpfen und Perlen von Larry Weyand gefertigt wurde. Die Hummerschere lieferte die Künstlerin gleich mit.
Außerdem bot sich nach so vielen Informationen zum Abschluss noch ein kleiner Spaziergang im Hafengelände an.