Gleichen-History

Vom Trans-Canada Highway kommend wird der Reisende am nördlichen Ortseingang von Gleichen - am kleinen Victor Beaupre Memorial Park - von einem Willkommensschild begrüßt.

Gleichen - Wellcome

Inmitten des Bogens steht: GLORIOUS PAST  -  GREATER FUTURE

Nun, die Vergangenheit war vielleicht glorreich, die Gegenwart ist es sicherlich nicht, und ob der Blick in die Zukunft so vielversprechend wird, bleibt abzuwarten.

Der kleine Park, in dem man auch einen kleinen Campingplatz angelegt hat, ist nach einem der Männer der ersten Stunde dieses Ortes benannt. In ihm findet man eine Bronzestatue eines Bisons sowie den 1911 errichteten Wasserturm. Der Turm, 46 m hoch, sollte auch die gesamte Siksika-Nation im Blackfeet-Reservoir mit Wasser versorgen. Dieser Wasserturm, der bis 1964 in Betrieb war, ist der älteste und höchste im Süden Albertas und ein historisches Wahrzeichen bzw. ein Orientierungspunkt in der Region.

Wasserturm von 1911

Anfang des 20. Jahrhunderts (1912) wohnten in der Stadt Gleichen über 2.000 Einwohner, derzeit (2023) jedoch beträgt die Bevölkerungszahl weniger als ein Sechstel. Was sind / waren die ausschlaggebenden Gründe?
Auswirkungen des 1. Weltkrieges ab 1913, 
die folgende Depression und 
Wetterkatastrophen (Kälte, Dürre) führten ebenso zum Schwinden des erhofften Fortschritts wie 
die Auswirkungen des 2. Weltkrieges
Brände im Ortszentrum und verstärkt
der technologische Wandel 
Viele an einer Eisenbahnstrecke gelegene Orte mit demselben Schicksal wurden aufgegeben, nicht jedoch Gleichen. 
Zur Geschichte: Als die Canadian Pacific Railway im Sommer 1883 die Eisenbahnlinie durch diese Ansiedlung verlegte, wurde sie zur Haltestelle, um u.a. Lokomotiven auftanken zu können. Das hier ebenfalls eingerichtete Abstellgleis war das 12. westlich von Medicine Hat, was ihm den ersten Namen gab: „Twelfth Siding“.
Die Ländereien rechts und links der Eisenbahnlinie - eigentlich den Sisika (First Nations) gehörend - wurden an private Landbesitzer vergeben. Da diese nicht wollten, dass Mitglieder der First Nations in der Region auf Jagd gingen und somit gar ihr Privateigentum betraten, wurde mit ihnen 1877 der Vertrag #7 geschlossen, der ihnen ein kleines Reservat südlich der Bahngleise von Gleichen zusprach.
Die Blackfeet waren nicht in der Lage, dagegen zu protestieren. Mit dem Verschwinden der Büffelherden standen sie vor dem Hungertod, und nur durch den Umzug in die Reservate konnten sie von der Regierung eine magere Nahrungsversorgung erhalten. Dort lebten sie dennoch in bitterer Armut am Rande des Hungertods. 
In den 1880er und 1890er Jahren war der größte Teil des Landes im Südosten von Alberta von der Canadian Pacific Railway (CPR) nicht wirklich für eine groß angelegte Besiedlung erschlossen worden. Dies sollte erst 1906 nach Abschluss eines Bewässerungsprogramms erfolgen, nachdem die CPR das Land mit größerem Gewinn verkaufen konnte. In der Zwischenzeit wurde das Land riesigen Rinderherden überlassen, die die Büffel ersetzten und den romantischen Mythos des Alberta-Cowboys schufen.
Gleichen wurde schnell bekannt als Transitknotenpunkt für Viehzüchter sowie als Ausgangspunkt für einige kleinere Ansiedlungen, die den Segen der Eisenbahn erhielten. 
Die Viehzüchter dominierten im Ort Gleichen und ihrer Region. Sie hatten insbesondere etwas dagegen, dass Bauern in die Region kamen und mit ihnen um das Land konkurrierten. 

Als diese jedoch vereinzelt ihre Parzellen in Besitz nahmen, fanden sich die Viehzüchter von immer größeren Landflächen abgeschnitten, um ihre riesigen Rinderherden weiden zu lassen.
Zusätzlich wurde ihnen durch den grausamen Winter 1906/07 ein entscheidender Schlag versetzt. Lange als „harter Winter“ in Erinnerung geblieben, dezimierten wiederkehrende Schneestürme und sehr tiefe, lang anhaltendeTemperaturen die Herden. Die Viehzüchter versuchten sogar verzweifelt, die gefrorenen Schneeverwehungen zu pflügen, damit die Kühe das darunter liegende Gras erreichen konnten.
Als der Frühling kam, war z.B. die Herde eines Viehzüchters aus Gleichen von Hunderten von Rindern auf nur noch 18 geschrumpft. 
Nach 1906 nahm die Bevölkerung in Gleichen wieder zu, so wie in ganz Westkanada. Außerdem arbeitete die CPR mit der Bundesregierung zusammen, um neue Einwanderer aus Ostkanada, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Kontinentaleuropa anzusiedeln. Bald war das Gebiet um Gleichen die neue Heimat von Kolonien deutscher, holländischer, französischer und japanischer Bauern.
Die Bauern der Umgebung belebten die Stadt; sie brachten ihre Waren nach Gleichen, auch, um ihre Ernte an die Züge zum Weitertransport und -verkauf zu liefern. Andererseits deckten sie sich mit allem Lebensnotwendigen ein und nahmen aktiv am Leben der Gemeinde teil.
Das Land um Gleichen gehörte der Canadian Pacific Railway, die die Grundstücke mt angeschlossener Wasserversorgung zu einem höheren Preis als die Regierung verkaufte. Diejenigen, die die Herausforderung annahmen, stellten recht schnell fest, dass das Homesteading-Leben eine unglaubliche Herausforderung war. Um sich davon eine Vorstellung zu machen: Als die Regierung im Rest von Alberta Anbauflächen an Pioniere verschenkte, mussten diese drei Jahre lang auf dem Land leben und es bewirtschaften, um den vollen Besitzanspruch darauf zu erlangen. 45 % der Homesteader schafften es nicht, die drei Jahre zu überstehen und verließen ihre Homesteads.
1900 entstand in Gleichen ein Hotel, das später als Marshall House bekannt wurde. Es verfügte sogar über eine sehr beliebte Bar mit einem Bürgersteig davor, um die damals bei Frauen beliebten „langen stilvollen Kleider“ vor dem Schmutz der unbefestigten Straßen zu schützen. 
Die Präsenz der North West Mounted Police und die typisch kanadische Fixierung auf „Frieden und Ordnung“ bewirkten, die Art von Gewalt zu verhindern, die gemeinhin mit Amerikas Wildem Westen in Verbindung gebracht wird. 
Obwohl Gleichen bereits seit 1884 ein Postamt hatte, tauchten viele Dinge, die man mit dem Stadtleben verbindet, erst nach dem Beginn des Bewässerungsprojekts im Jahr 1903 auf. Gleichens erste Zeitung, das Echo, wurde 1904 kurzzeitig veröffentlicht, - sie wurde von Hand geschrieben. Bald erwarb ein anderer Zeitungsmann eine richtige Druckerei, die 1905 mit der Herausgabe der „Gleichen-Chronik“ begann. 1907 wurde sie in „Gleichen Call“ umbenannt.
Der Name „Gleichen Call“ lässt den sonnigen Optimismus des Zeitungsverlegers erahnen: Er wählte den Namen, weil er landlose Siedler, Geldanleger und „Gesundheitssuchende“ „callen“ wollte.
Der erste Ansturm fand im Juni 1914 statt, und anscheinend war Gleichen der einzige Ort in Kanada, an dem in diesem Jahr ein Ansturm stattfand, ein Indikator für die relative Bedeutung der Stadt in der Prärie. 
Ungefähr zu dieser Zeit erreichte die Größe der Stadt mit über 2.000 ihren Höhepunkt. Gleichen wurde 1899 als Dorf eingemeindet, aber bereits 1910 war es groß genug, um den Status einer Stadt zu erlangen. Dies ermöglichte es der neu ernannten Stadtregierung, Gelder für Dinge zu sammeln, wie Bürgersteige, Abwasser- und Wasseranschlüsse und schließlich Strom.
1912 sollte für lange Zeit das letzte Jahr einer großen wirtschaftlichen Expansion in Alberta werden. 
Das erste schlechte Zeichen war das Platzen einer Immobilienblase im Jahr 1913. Albertas Bevölkerung und Wirtschaft waren im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit Hunderttausenden von Einwanderern und ausländischem Kapital sprunghaft gewachsen. Die Wirtschaft wurde überwiegend von Geldern ausländischer Investoren in Großbritannien und Ostkanada angetrieben, und sie trugen zu einem Immobilienmarkt bei, auf dem jeder sich beeilte, in spekulative Immobilien zu investieren. Als die Preise stiegen und die Banken viel mehr Geld verliehen, als sie rechtfertigen konnten, geriet das System ins Wanken.
Als sich 1913 Kriegswolken über Europa zusammenzogen und Großbritannien von einer Rezession erfasst wurde, versiegte plötzlich ein Großteil des Kapitals und die Immobilienblase platzte. In ganz Westkanada kam es zu einem Zusammenbruch der Grundstückspreise, der wiederum eine Reihe von Bankzusammenbrüchen auslöste. Die Wirtschaft geriet plötzlich von starkem Wachstum in eine tiefe Rezession, und viele Menschen waren arbeitslos.

In beiden Weltkriegen meldete sich eine bemerkenswerte Zahl von Gleichens Männern, um in der Armee zu dienen. Eine erschreckende Zahl von ihnen wurde getötet oder verwundet. Dadurch sollte die Stadt viele ihrer besten und klügsten Menschen verlieren. Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, stoppte die Zuwanderung nach Gleichen kurz nach der Wirtschaftskrise. Die vielen jungen Männer, die nicht zurückkehrten, hinterließen eine klaffende Lücke in der Gemeinde.          
Als Kanada 1914 den Mittelmächten den Krieg erklärte, meldeten sich viele Tausend für den Dienst an der Waffe, und Gleichen war keine Ausnahme. 250 Männer aus dem Raum Gleichen zogen in den Ersten Weltkrieg. Gleichen hatte die Ehre, die kleinste Stadt Kanadas zu sein, die über eine eigene Militäreinheit verfügte, ein starkes Zeichen für den Patriotismus der Stadt.
Dies waren in der Regel junge Männer, die am ehesten in der Gemeinde aktiv waren, oder Unternehmen und Familien gründeten. Ihre Abwesenheit für vier Jahre war schmerzhaft zu spüren, insbesondere als die Einwanderung nach Alberta, die nur ein paar Jahre zuvor ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht hatte, plötzlich fast vollständig stoppte. Das Leben in Gleichen kam fast zum Erliegen. Doch nur wenige hätten sich vorstellen können, dass viele von diesen Männern, die sich gemeldet hatten, sterben würden und somit dem Ort ein verkümmertes Gemeinschaftsleben für die kommenden Jahre hinterlassen würde.

Kriegerdenkmal

Kriegerdenkmal-Plakette

Aus heutiger Sicht erschreckend, wieviele jünge Männer aus diesem Ort und der näheren Umgebung auf dem europäischen Kontinent ihr Leben gelassen haben.

Namensliste am Kriegerdenkmal

Namensliste

Namensliste am Kriegerdenkmal

Aber damit nicht genug: ein gewaltiges Feuer wütete 1923 im Hotel in Gleichen, das zusätzlich noch eine Apotheke, zwei Banken, zwei Geschäfte und eine Anwaltskanzlei vernichtete. Zu einer Zeit, als die Stadt bereits wirtschaftlich zu kämpfen hatte, war dies ein weiterer schwerer Schlag für die Stadt. 
In Gleichen kam es sehr häufig zu Bränden; von 1906 bis in die 1960er-Jahre wurden insgesamt 52 registriert. Aus diesen Gründen erforderte der bloße Erhalt der Stadt einen erheblichen Aufwand bei der Reparatur und dem Ersatz von Gebäuden. Einige dieser Gebäude wurden deshalb nie wieder aufgebaut. Infolgedessen sind heute in Gleichen nur noch wenige alte Gebäude erhalten. 

hauptstraße
Rechts, auf dem heutigen Wiesenareal
stand einmal das 1923 abgebrannte Hotel

Gleichen Libraray
Die derzeitige Bücherei von Gleichen

Die heutige Bibliothek von Gleichen ↗ befindet sich im historischen Gebäude der CIBC (Canadian Imperial Bank of Commerce) von 1906.

In dem unbarmherzigen Klima im Südosten von Alberta gab es eine ganze Reihe von Herausforderungen, mit denen die Menschen zu kämpfen hatten. Da die regionale Wirtschaft fast ausschließlich von der Landwirtschaft abhängig war, bedeutete dies, dass die Bauern in schlechten Jahren ihr Geld nicht in den Geschäften der Stadt ausgeben konnten und infolgedessen auch die Kaufleute der Stadt Einbußen erlitten.

Ein paar Dürreperioden konnten die gesamte Region in die Knie zwingen und alle Bauern und Unternehmen gleichzeitig an den Rand des Bankrotts treiben. Dies geschah tatsächlich von 1914 bis 1919 und erneut in den 1930er Jahren mit absolut verheerender Wirkung. Viele Bauern wurden durch diese beiden anhaltenden Dürreperioden mittellos und verließen einfach ihr Land, weil sie die Grundsteuern nicht zahlen konnten. Da Gleichen ja erst vor kurzem besiedelt worden war, hatten die meisten Menschen keine tiefen Wurzeln in der Stadt und hatten keine Probleme mit dem Verlassen der Gegend.
Im Zweiten Weltkrieg verloren weitere Männer aus Gleichen ihr Leben. Diejenigen, die zurückkamen, waren oft viel weniger idealistisch als bei ihrer Abreise.

Liste der Gefallenen

Einen weiteren Hauptschuldigen für Gleichens Abstieg findet man in der Motorisierung. Die zunehmende Popularität von Autos ab den 1920er Jahren führte zu einer Reihe von Trends, die dazu führten, dass die Menschen keinen Grund mehr hatten, nach Gleichen zu kommen, zumal sie hier auch nicht viel Arbeit fanden.
Die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre verursachte in Gleichen weit verbreitete Arbeitslosigkeit, Armut und sogar Hunger und spielte eine große Rolle dabei, viele Menschen auf der Suche nach Arbeit aus der Stadt zu treiben.

Ab 1883 verdankte Gleichen seine Lage vor allem der hier verlaufenden Eisenbahn. Sie war lange Zeit das einzige effiziente Transportmittel in und aus der Stadt und für die Bauern, die sich rund um Gleichen ansiedelten, die einzige Möglichkeit, ihr Getreide auf den Markt zu bringen. Eines der umstrittensten politischen Themen in der frühen Geschichte Albertas waren die hohen Frachtraten und "Fahrstuhlkosten" für das Lagern des Getreide in den Silos, die die Eisenbahnen den Bauern für den Export ihres Getreides in Rechnung stellten. Als eine Alternative zur Eisenbahn auftauchte, war es kaum verwunderlich, dass die Landwirte in Alberta sie annahmen. Autos – und landwirtschaftliche Lastwagen – ermöglichten es den Landwirten, die Aufzugsfirmen (Getreidelagerung) zu umgehen und ihren Weizen zu weiter entfernten Märkten wie in Calgary zu liefern, wo sie mit einer besseren Bezahlung rechnen konnten. Infolgedessen kamen weniger Bauern aus der gesamten Region in die Stadt, um ihr Geld auszugeben. Schließlich wurde der Zugverkehr für den hiesigen Warentransport ganz eingestellt. Gleichen wurde nicht mehr angefahren. Somit konnten der Bahnhof und der dazugehörige Ringlokschuppen abgerissen werden.

In den 1940er Jahren tauchten immer mehr Traktoren auf den Feldern auf. Dies war ein entscheidender Wandel in der Landwirtschaft, da ein einziger Traktor die gleiche Arbeit wie viele Landarbeiter verrichten konnte. Mit dem Abbau von Arbeitskräften auf den Bauernhöfen standen rund um Gleichen weniger Arbeitsplätze zur Verfügung.

Auch bedeutete die Entdeckung von Ölfeldern in Alberta, dass jetzt die besten wirtschaftlichen Arbeitsmöglichkeiten dort gefunden werden konnten. Unglücklicherweise gab es in der Umgebung von Gleichen weder Öl- noch Gasvorkommen.
Aufgrund fehlender Arbeitsplätze und Einkommen verließen deshalb viele Bürger aus dem Ort Gleichen die Region, um in Calgary oder auf den Ölfeldern z.B. im Turner Valley ihr Glück zu suchen.

Gleichen Hotel
Gleichen heute: Hotel und Liquor Store,
gegenüber findet man einen Cannabis Store

Quellen:
Entnommen und übersetzt aus:
The Story of Gleichen  ↗ - Gleichen's Boomtown Era
From Andrew Farris

Gleichener Geschichtsbuchausschuss
Der Gleichen-Ruf: Eine Geschichte von Gleichen und Umgebung, 1877-1968. 
Gleichen United Church Women, 1968

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