Dienstag, 24. Juni 2025

Von Fort Ingall bis La Martre


Zunächst fuhren wir die ersten 70 Kilometer über den Highway 295 zurück zum Sankt-Lorenz-Strom nach Trois-Pistoles. Von dort ging es über 260 Kilometer wieder auf der Küstenstraße 132 bis nach La Martre.
Trois-Pistoles (3.500 Einwohner) trägt seinen Namen nicht wegen irgendwelcher Waffen, sondern der Name erinnert an eine Goldmünze, die im 16. Jahrhundert in Frankreich als „Louis d’Or“ verwendet und „pistole“ genannt wurde. In Trois-Pistoles besteht eine der wenigen Möglichkeiten, das Nord-Ufer des Sankt Lorenz Stromes zu erreichen. Im Hafen fährt eine Fähre nach „Les Ecoumins“ auf der anderen Seite des Flusses ab. Besonders berühmt ist Trois-Pistoles jedoch wegen seiner Kirche, der „Notre-Dame des Neiges“. Sie hat fünf Glockentürme, was in dieser Region eine absolute Seltenheit ist.
Die Kirche
Wir waren nun weitere 60 Kilometer unterwegs und erreichten die größere Stadt Rimouski (50.000 Einwohner). In ihr findet man die „site historique maritime de la pointe-au-père“, hier möchte die Stadt ihren engen Bezug zur Seefahrt auf dem Sankt-Lorenz-Strom präsentieren (siehe gesonderter Bericht). Ausgrabungen haben gezeigt, dass die Region vor Rimouski bereits vor 8.000 Jahren besiedelt war. Im August 1535 beschrieb Jacques Cartier (1491-1557) diese Gegend.
Nur 20 Kilometer weiter erreichten wir Saint Flavie (900 Einwohner), benannt nach der römischen Märtyrerin Flavia.
St Flavie
Im Hintergrund der St. Lorenz-Strom
Saint Flavie ist das sogenannte Tor zur Gaspésie, der nächsten Verwaltungsregion nach Bas Saint Laurent. In der Sprache der hiesigen First Nation, den Mi’kmaq, versteht man unter dem Wort „Gespegiag“ das „Ende der Welt“. Die Halbinsel wurde von einem nördlichen Ausläufer des Apalachen-Gebirges gebildet. Der höchste Berg ist mit 1268 m der „Mont Jacques Cartier“.
Im nördlichen Bereich von Saint-Flavie kommt man am Centre d’Art von Marcel Gagnon mit seinen Betonstahlfiguren vorbei (siehe gesonderter Bericht).
Nach weiteren 20 Kilometern landeten wir in der Bucht von Métis-sur-Mer (590 Einwohner); der Ort wurde 1850 von Schotten gegründet. Hier hat man traumhafte Blicke auf die Bucht und westlich auf den 1909 errichteten Leuchtturm „la maison du gardien“, der aber in Privatbesitz ist.
Du bist hier
Am Strand
Leutturm Métis
Der Leutturm in Métis von 1909,
der erst 1956 an das Stromnetz angeschlossen wurde.
Luftaufnahme
Luftaufnahme: entnommen aus Infotafel am Strand
Der nächste größere Ort auf der Weiterfahrt war nach 40 Kilometern die Stadt Matane (14.000 Einwohner). Die heutige Stadtstruktur erhielt Matane erst 2001 die durch Zusammenlegung mehrerer benachbarter Orte. „mtctan“ ist das „Mi’kmaq-Wort für Biberteich, die Biber gibt es zahlreich in der Gegend. Matane hat in letzter Zeit eine schwere wirtschaftliche Krise erlebt. Jahrzehnte war die Stadt für die Garnelen-Verarbeitung weltbekannt, bis die Garnelen-Betriebe 2024 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden mussten.

Auf den nächsten 70 Kilometern konnten wir uns weiterhin für das Küsten-Panorama begeistern bis wir in Cap Chat (2.500 Einwohner) ankamen. Der Ort ist nach einem katzenförmigen Felsen im Küstenbereich benannt. Cap Chat ist übrigens ein begehrter Wintersport-Ort.
Cap
Viel wichtiger für den Ort ist jedoch, dass er gewissermaßen zu einem Synonym für Windenergie geworden ist. Hier befindet sich der „Le Nordais Park“. Zurzeit laufen dort rund 75 Windkraftanlagen für die Energie-Erzeugung.
Windräder
Die ersten Windräder an der Gaspésie-Küste
Windräder
Interessant war ein Projekt, das man hier in den 1980er Jahren startete. Das Projekt „Eole“ war der Versuch, ein sich vertikal drehendes Windrad zu nutzen. Es handelte sich damals um den weltgrößte Darrieus-Rotor ↗. „Äolus“ ist übrigens der griechische Gott des Windes.
Darrieus
Der seit Jahren stillstehende Darrieus-Rotor
Die Idee war, dass man mit einem in dieser Form gebauten Windrad die Winde aus allen Richtungen nutzen könnte. Leider konnte das Projekt aus wirtschaftlichen Gründen nicht weitergeführt werden, denn die Technik zeigte sich (damals) - bei dieser Größe als nicht ausgereift, die Stillstandzeiten (wegen Reparaturen) waren zu häuftig, ... - aber man kann in einem Informationszentrum alle wichtigen Fakten zu dieser technischen Idee erfahren.

Nun fehlten uns bei herrlichem Sonnenschein noch rund 50 Kilometer Küstenstraße bis zu unserem geplanten Zielort „La Martre“ (190 Einwohner).
Küstenstrasse
Kurz vorher, am Cap du Renard (Fuchs), passierten wir einen schönen Wasserfall direkt neben der Straße, den „Voile de la Mariée“ (Brautschleier).
Wasserfall
In „La Martre“ befindet sich ein dunkelroter, 1876 errichteter Leuchtturm. 1906 wurde er renoviert. Der Leuchtturm ist fast 20 Meter hoch, hat als besonderes Merkmal eine achteckige Holz-Konstruktion als Basis und dient immer noch als Navigationshilfe für Schiffe und Boote auf dem St. Lorenz-Strom.
Leuchtturm in Martre
Der rote Leuchtturm in La Martre

Sonntag, 22. Juni 2025

Fort Ingall am Lac Témiscouata

Das [rekonstruierte] Fort Ingall ↗ befindet sich am Westufer vom Lac Témiscouata, der rund fünfzig Kilometer südöstlich des St. Lorenz Stromes liegt. Témiscouata bedeutet in der Sprache der hiesigen First Nation, den Mi‘kmaq, „tiefes Wasser“.
Fort Ingall
Fort Ingall
Das Fort wurde 1839 erbaut und nur bis 1841 genutzt. Im Laufe der folgenden Jahre verfiel es vollständig. In den 1970er Jahren wurde es von einer privaten historischen Gesellschaft ausgegraben und rekonstruiert. Diese Gesellschaft ist auch der heutige Betreiber, die „Historical and Archeological Society of Temiscouata“.
Der Bau des Forts wurde im Rahmen eines amerikanisch-kanadischen Grenzkrieges, dem sogenannten „Aroostook“-Krieg  veranlasst und sollte vor allem zur Abschreckung dienen. „Aroosstook“ ist der Name eines heutigen Counties (Verwaltungs-Bezirk) im US-Staat Maine und bedeutet in der Mi’kmaq-Sprache „schönes Wasser“ für den Aroostook River, der hier fließt.
Damals ging es darum, dass die amerikanisch-kanadische Grenzlinie im hiesigen Bereich nicht geklärt, d.h. nicht genau festgelegt war. Beide Seiten beanspruchten für sich die hiesigen, wertvollen Holzvorräte und die Vorherrschaft über Handelsrouten.
Grenzverlauf
Forts an der Grenz
Forts an der Grenze
Kanadische Forts und Niederlassungen im Grenzbereich
Obwohl beide Seite eine größere Anzahl Soldaten mobilisierten, ging dieser Krieg 1842 mit einem Vertrag, in dem der Grenzverlauf klar festlegt wurde, unblutig und ohne größere Schlachten zu Ende.
Die kanadische Regierung ließ neben Fort Ingall im Verlauf der von ihnen favorisierten Grenzlinie mehrere Forts bauen, um den Amerikanern einen Einmarsch zu erschweren. An dieser Verteidigungslinie wurden zusätzlich u.a. Fort Dégelé, Pétit-Sault-Post, Grand-Sault Post und andere erbaut, die jedoch nicht mehr erhalten sind.
Für die Konstruktion von Fort Ingall war Major Frederick Lennox Ingall (1795-1862) zuständig, der neben dem nach ihm benannten Fort für die Errichtung von insgesamt elf kleineren Forts bzw. Stützpunkten (Posts) zuständig war.
Modell von Fort Ingall
Modell von Fort Ingall
Das Fort war wie sein Nachbau heute von einem 3,5 Meter hohen Palisadenzaun umgeben. Maximal lebten vor 185 Jahren 200 Soldaten im Fort.
Im Innenbereich befinden sich ein zentraler Treffpunkt mit Fahnenmast und Lagerfeuer, sowie neun weitere Gebäude mit unterschiedlichen Funktionen.
Versammlungsplatz
Haus der Offiziere
Haus der Offiziere und des Arztes
Unterkunft
Arztzimmer
Die beiden nachgebauten Latrinengebäude waren während der Rekonstruktionsphase von großer Bedeutung. Hier fand man die meisten Artefakte aus der Ursprungszeit – insgesamt über 55.000. Die Soldaten warfen ihren „Müll“ im Latrinenbereich weg.
Outhouse
Outhouse in Fort Ingall
Funde aus dem Latrinenbereich
Funde aus dem Latrinenbereich
Das ehemalige Pulverhaus war aus Sicherheitsgründen bis zum Dach mit einem Erdwall umgeben. Dies ist heute nicht mehr der Fall.
Ansonsten sind die Mannschafts- und Offiziersschlafsäle neu errichtet, die Küche, das Wachhaus und das Haus des Quartiermeisters, in dem auch die Vorräte für das Fort gelagert wurden, und das Haus der beiden Regiments-Ärzte.
Mannschaftsunterkünfte
Mannschaftsunterkünfte
Mannschaftsunterkünfte
Den beiden Ärzten, insbesondere Jean Etienne Landry (1815-1884), ist zu verdanken, dass man auf genaue Berichte, die das damalige Leben im Fort beschreiben, zurückgreifen kann. Beide führten Tagebücher und schrieben zahlreiche Briefe, die erhalten geblieben sind.
Wachhaus
Das Gebäude der Wachmannschaften sowie des wachhabenden Offiziers
beinhaltete auch das Gefängnis.
In den einzelnen Häusern werden mehrere aktuelle Ausstellungen präsentiert, die das Leben im Fort beschreiben, die historischen Hintergründe erklären und beispielsweise auch in einem Film die Zeit der Ausgrabungen und des Wiederaufbaus zeigen.

In den Sommermonaten kann man im Nachbau des Fort Ingall mehrere Events von historischen Gruppen erleben, Führungen mit historisch gekleideten Personen buchen und natürlich wird täglich die forteigene Kanone einmal abgefeuert.
Fort Ingall

Samstag, 21. Juni 2025

Von Québec nach Fort Ingall


Von Québec startend war unser nächstes Ziel das Fort Ingall, das am Lac de Témiscouata liegt. Für diese Strecke benötigten wir insgesamt 270 Kilometer.
Es hatte den ganzen Abend und die ganze Nacht stark geregnet. Als wir am Morgen das Wasser des St. Lorenzstroms sahen, war es gänzlich braun eingefärbt.
braune wasser
Brauner St. Lorenzstrom
Auf unserer Weiterfahrt sahen wir die Ursache: die kleinen Wasserfälle, die nun vehement zu Tal stürzen, sowie die Bäche waren enorm angeschwollen und brachten braun eingefärbtes Wasser zu Tal bzw. in den St. Lozenz-Strom.
Nach dem regen
Zunächst nutzten wir bis zum Ort Montmagny für knapp 80 Kilometer noch den Trans-Canada-Highway 20, um ein wenig schneller aus dem Großstadtbereich herauszukommen.
Danach fuhren wir für 130 Kilometer auf einem Abschnitt der Küstenstraße 132, die am Südufer des Sankt-Lorenz-Stromes entlangführt. Abschnitte der insgesamt 1.600 Kilometer langen Route 132 hatten wir schon einige Male genutzt, denn sie beginnt in Dundee östlich von Cornwall. Dort waren wir vor einigen Tagen vorbeigekommen. Sie endet in Saint Flavie in der Region Bas Saint Laurent.
Gleichzeitig befanden wir uns auf einem Abschnitt einer touristischen Straße, der „Route de Navigateurs“ („Straße der Seefahrer“), die über 470 Kilometer am Sankt- Lorenz-Strom entlangführt. Mit dieser Straße soll an die Zeit erinnert werden, in der der Fluss ein lebenswichtiger Wasserweg zunächst für die First Nation und später für die europäischen Entdecker und Siedler war.
Während der gesamten Fahrt bewegten wir uns im Verwaltungsbezirk „Bas Saint Laurent (knapp 200.000 Einwohner), der stark römisch-katholisch geprägt ist. Jeder zweite Ort trägt in seinem Ortsnamen ein „saint“ („heilig“).
Wir waren von diesem Teil der Strecke begeistert - auf der einen Seite der Straße befindet sich der Fluss, der inzwischen so breit ist, dass man das andere Ufer oft nicht sehen kann. Auf der anderen Seite erstreckt sich eine hügelige, landwirtschaftlich genutzte Landschaft mit vielen malerischen Dörfern und ihren auffallenden Kirchen.
Bauern
Einige Kirchen findet man in der Art, wie sie die ersten Kolonialisten errichteten. Die meisten zeigen jedoch neugotische Elemente, harmonische Außenfassaden und haben hohe, schlanke Türme. Die Dächer - typisch für Ostkanada -  sind fast immer mit silberner Farbe, silberfarbenem Metall gestaltet.
silberne Dächer
Noch auffallender als die Kirchen sind die vielen Kreuze am Straßenrand, von denen viele ein Herz in der Mitte tragen. Diese Herzen haben eine religiöse (Herz Jesu), eine kulturelle und eine symbolische Bedeutung. Die Bewohner der Region Bas-Saint-Laurent wollen damit Heimatliebe und Verbundenheit zu Traditionen zum Ausdruck bringen.
Kreuz mit Herz
Einer der malerischsten Orte, an dem wir uns während der Fahrt nach 170 Kilometer einen längeren Aufenthalt gönnten, war Kamouraska ↗ (700 Einwohner). An dieser Stelle ließen sich bereits 1694 französische Siedler nieder und 1714 wurde eine katholische Mission im Ort gegründet. Man hat den Eindruck, dass hier ein wenig die Zeit stehengeblieben ist, wenn man durch winzige Gässchen zum Hafen schlendert.
Natürlich steht in Kamouraska in der Ortsmitte eine für die Region typische Kirche, direkt daneben im ehemaligen Kloster ein Museum. Im Alten Gerichtsgebäude ist ein Kunst-Center untergebracht.
Traditionelle Familienunternehmen bieten ihre Waren an, so beispielsweise die Poissonnerie „Lauzier“ , die neben dem Fischgeschäft auch ein Bistro betreibt.
Fischgeschäft
Nicht nur für Deutsche interessant ist die in Kamouraska ansässige Bäckerei „Niemand“ (boulangerie) . Hier ist ein Bäckermeister aus Nordrhein-Westfalen in den 1990er Jahren hängengeblieben und bietet seither deutsche Backwaren an, die in der Region und bei Touristen sehr beliebt sind.
Bäckerei
Wir fuhren weiter entlang des Flussufers des Sankt-Lorenz-Stromes. Ab Riviere-du-Loop verließen wir die Küstenstraße 132 und nahmen nun für die letzten 60 Kilometer den Highway A 85 ↗ Richtung Osten ins Landesinnere, der wieder zum Tans-Canada-Highway-Netzwerk gehört. Die A 85 ist die Hauptverbindung von Québec zum Nachbarstaat New Brunswick und wird seit 2014 auch als „Autoroute Claude-Béchard “ bezeichnet.
Kurz vor unserem Ziel kamen wir an der Abzweigung für den Ort „Saint-Louis-du-Ha!-Ha!“ vorbei., der direkt am Lac Témiscouta liegt. Der Name dieses Ortes ist eine absolute Kuriosität – der einzige auf der Welt mit zwei Ausrufezeichen. Laut den Einwohnern soll der Name durch die ersten Siedler entstanden sein, die bei ihrer Ankunft hier keinen See erwarteten und erstaunt dieses „ah!ah!“ von sich gaben.
Ha-ha
Wir fuhren dann bis zu unserem Campingplatz noch einige Kilometer am See, dem Lac Témiscouata (bedeutet in der Sprache der hiesigen First Nation: „tiefes Wasser“), entlang. Der See ist immerhin 45 Kilometer lang, durchschnittlich 2 Kilometer breit und liegt malerisch in einer tiefen Senke.
Lac
 Lac Témiscouata

Freitag, 20. Juni 2025

Huron Traditional Site in Wendake

Knapp 20 Kilometer nordwestlich der Stadt Quebec befindet sich das kleine Reservat Wendake. In ihm wird der Besuch eines Freilichtmuseums angeboten, der „Huron Traditional Site“. Geschichte, Kultur und Lebensweise  der hiesigen Huronen sollen den Besuchern nähergebracht werden.
Besichtigungsstätte
Das gesamte Ausstellungs-Dorf ist von einem hölzernen Palisadenzaun umgeben und im Innenbereich ansprechend mit vielen traditionellen Figuren und Gegenständen gestaltet.
Palissade
Schlange
Natürlich kann man u.a. bemalte Totempfähle anschauen, auch wenn sie nicht unbedingt zur Kultur der Huronen gehören.
Totempfahl
Die Huronen selbst lehnen den Namen ab, den sie von den französischen Einwanderern bekommen haben. Die Franzosen nannten sie „hure“, was in der französischen Sprache u.a.  „Eberkopf“ bedeutet. Diese wählten den Namen in Anspielung auf die Frisur der Krieger, die an den Haarbüschel auf dem Kopf eines Wildschweins erinnerte. Die Huronen selbst nannten / nennen sich Wendat (Inselbewohner).
Wir besuchten das Dorf mit einer Führung und starteten im Kernstück des Ortes, einem traditionellen Langhaus (Yänonchia oder Wyandot). Das Langhaus wurde aus Baumstämmen errichtet, mit denen man einen Holzrahmen konstruierte und diesen mit geglätteter Rinde nach außen hin abdichtet. Man wohnte hier nicht nur, sondern man lagerte auch Vorräte, Brennmaterialien und Gebrauchsgegenstände.
Langhouse
Langhouse
In einem solchen Langhaus lebten mehrere Familien eines Clans zusammen unter der Leitung einer Clan-Mutter. Das Gesellschaftssystem der Huronen war matrilinear, d.h. dass die Abstammung über die weibliche Linie erfolgte. Die Clan-Mutter war nicht nur eine wichtige soziale Bezugsperson, sondern sie vertrat die Interessen des Clans in den Dorfversammlungen. Die Dorfgemeinschaft wurde übrigens von männlichen Häuptlingen geführt. Die Clan-Mutter hatte außerdem die wichtige Aufgabe, die gesamte Feldarbeit zu organisieren.
Huronendorf
Huronendorf - aus Infotafel der Ausstellung
Die Frauen des Clans bewirtschafteten Felder und bauten Mais, Bohnen und Kürbisse an. Ansonsten waren sie für alle „hauswirtschaftlichen“ Arbeiten verantwortlich. Die Männer waren für den Tabak-Anbau zuständig, gingen auf die Jagd und zum Fischen und handelten.
In einem Langhaus gab es mehrere Kochfeuer. Jedes Kochfeuer wurden von zwei Familien mit je fünf bis zehn Personen betreut, sodass durchschnittlich dreißig bis vierzig Personen, manchmal bis 60 Personen, in einem Langhaus zusammenwohnten. In einem Dorf wiederum befanden sich sechs bis acht Langhäuser.
Bei den Huronen suchte sich eine Frau ihren Mann aus. Er musste grundsätzlich aus einem anderen Clan sein. Nachdem sie ihn angefragt hatte, musste er sie mit Geschenken von sich überzeugen. Außerdem wurde er eingeladen, eine gewisse Zeit in dem Langhaus der Zukünftigen zu leben, um seine Eignung festzustellen. Eine spätere Trennung war übrigens problemlos möglich.
Nach dem Besuch des Langhauses, folgte ein Rundweg durch das Dorf.
Interessant war am nächsten Punkt die Präsentation verschiedener Konservierungs-Techniken, um Lebensmittel haltbar zu machen. Gezeigt wurden hier eine hölzerne Rauchhütte (Etiesatraoa), in der man Fleisch und Fisch räucherte, und ein Pökel-Holzständer (Etieatsaoaoa), auf dem Fleisch und Fisch getrocknet wurden.
Rauchhütte
Gleich daneben stand ein Sauna-Zelt (O:hke’wa) aus Leder. Das „Schwitzhaus“ diente nicht nur der Reinigung des Körpers, sondern wurde auch für die spirituelle Reinigung durch Meditieren im Schwitzhaus genutzt. Im Feuer erhitzte Steine wurden mit Wasser übergossen und so heißer Dampf erzeugt: gleichzeitig wurden noch verschiedene Kräuter genutzt.
Schwitzhütte
Der Rundgang führte uns auch in das Haus des Schamanen oder Medizinmannes. Aufgrund des heiligen Ortes für die First Nations war hier das Fotografieren untersagt. Sehr interessant war, über die vielfältigen Aufgaben des Schamanen aufgeklärt zu werden. Er sollte nicht nur physische und psychische Krankheiten heilen, sondern er war zusätzlich dafür verantwortlich, Traditionen zu bewahren und Zeremonien zu leiten. Zudem sollte er Träume deuten, Geister um Rat fragen und zukünftige Ereignisse für den Einzelnen oder die Gemeinschaft vorhersagen.
Anschließend gingen wir in ein kleineres Langhaus, in dem im Besonderen über die Geschichte der Huron-Wendat  berichtet wurde – hier ganz modern mit einer Video-Präsentation.
Es wurde erzählt, dass dieses Volk einst mit mehr als 20.000 Personen im nördlichen Bereich der Großen Seen lebte. Ursprünglich hatten sie Gemeinsamkeiten mit den Irokesen, die südlich der Großen Seen verbreitet waren. Die Sprachen der beiden First Nation-Gruppen sind eng verwandt. Etwa im 16. Jahrhundert trennte man sich jedoch wegen unterschiedlicher kultureller Auffassungen.
Ab 1640 erlebten die Huron-Wendat mehrere Katastrophen. Zum einen starben mehr als die Hälfte von ihnen an von den eingewanderten Europäern mitgebrachten Krankheiten, wie Pocken und Masern. Ein weiteres Drittel starb während der sogenannten Bieber-Kriege bzw. der französisch-britischen Kriege.
Bei den Bieber-Kriegen handelt es sich um Angriffe der Irokesen auf die Huronen. Die Irokesen handelten damals überwiegend mit den Niederländern um in Europa begehrte Bieber-Felle und bekamen dafür Gewehre. Sie waren damit waffentechnisch anderen First Nation überlegen. Die Irokesen wollten ihre Jagdgebiete für Bieber ausdehnen und außerdem die Handelsrouten kontrollieren. Aus diesem Grund begannen sie, Dörfer der Huronen, ihre Konkurrenten im Pelzhandel, zu überfallen und die Einwohner zu töten. Das taten sie mit einer grausamen Brutalität. Innerhalb der nächsten 50 Jahre rotteten sie die noch lebenden Huronen fast aus.
Die letzten Huronen, einige Hundert, suchten Schutz bei den Franzosen und wurden von ihnen in Reservaten im Osten von Quebec untergebracht. In diesen kleinen Reservaten leben sie heute noch.
Sehr schön gestaltet war der nächste Präsentationsort. Hier ging es um die traditionellen Transportmittel. Man konnte während des Vortrages in einem Lang-Boot Platz nehmen und sich anhören, wie Kanus gefertigt wurden, die Haupt-Transportmittel im Sommer. Für sie wurde gewässerte Birkenrinde verwendet, die auf ein Holzgerüst gespannt wurde und anschließend in dieser Form so trocknete. Im Winter transportierte man seine Waren mit Hilfe von Schneeschuhen und auf Langbrettern, die man mit einem Kopf-Band zog. Der Rahmen der Schneeschuhe wurde aus gebogenem Holz gefertigt, für die innere Bespannung nutzte man Tiersehnen.
Schneeschuhe
Langboot
Auf dem weiteren Rundweg besuchten wir noch ein Tipi. Die Huronen-Wendat nutzten solche Tipis überhaupt nicht. Als man das Ausstellungs-Dorf konzipierte, entschied man sich aber, ein Tipi zu zeigen, weil viele Besucher mit den First Nation das Leben in einem Tipi verbinden. Man wollte am Tipi den Unterschied der sesshaften Lebensweise der Huron-Wendat zu der nomadischen Lebensart anderer Stämme erklären, die mit ihrem Tipi unterwegs waren. Beim Tipi werden Holzstangen kegelförmig aufgebaut und mit Bisonfellen abgedeckt, oben wird eine Öffnung für den Rauch gelassen. Im hiesigen Tipi wurden Landkarten, beispielsweise über die Verbreitung der heutigen Huron-Wendat, und Ausstellungsstücke aus dem Leben der Huronen gezeigt und erklärt.
Tipi
Verbreitungsgebiet
Auf dem weiteren Weg gingen wir an einer „Inukshuk“-Steinfigur vorbei; wiederum etwas inkonsequent, weil diese Figuren nicht von den Huron-Wendat, sondern nur von den Inuit der Arktis-Regionen als Kennzeichen verwendet werden.
Inuitman
Danach erreichten wir die letzte Station der Führung. In dieser Hütte widmete man sich der heutigen Situation in einem Reservat mit eigener Polizei und Schule, sowie mit eigener Verwaltung.
Federrad
Abschließend statteten wir noch dem Laden der „HuronTraditional Site einen Besuch ab, der über ein außergewöhnlich umfangreiches Angebot indigener Kunstwaren verfügt.
Tradition